Nun geht’s ums Charisma
Die Wissenschaftler haben Folgendes herausgefunden: wenn wir einem charismatischen Redner zuhören, schalten in unserem Gehirn die Abschnitte ab, die für Analyse, Logik und Aufmerksamkeit zuständig sind. Stattdessen wird vom Gehirn der Passivmodus aktiviert, das sogenannte DMN (Default Mode Netzwerk), deutsch: Ruhezustandsnetzwerk. Im DMN-Modus kann der Mensch träumen, philosophieren und Sehnsucht empfinden. Dieses Netzwerk funktioniert getrennt vom Analyse-Zentrum des Gehirns und kann es manchmal sogar unterdrücken – wie zum Beispiel bei dem Vortrag eines sehr charismatischen Redners.
Denken Sie an die Empfindungen zurück, die Sie einmal während einer Vorlesung oder bei der Kommunikation mit dieser Person hatten. Können Sie heute ein Zitat aus seiner Rede bringen? Nein. Die Worte fallen nicht mehr ein. Dafür aber können wir uns noch an unsere Empfindungen und Emotionen erinnern. Wir wissen noch, wie unsäglich begeistert wird von dieser Person und von ihrer Rede waren. Ein leuchtendes Beispiel sind die Präsentationen von Steve Jobs mit dem neuen Know-how von Apple. Auch wenn Sie kein Freund von Apple-Produkten sind, haben Sie sicherlich schon gigantische Warteschlangen in der Nacht vor dem Verkaufsstart eines neuen iPhone-Modells erlebt.
Wir glauben solchen Leuten wie Steve Jobs, weil wir von ihnen von vornherein entzückt sind. Neben solchen großen Rednern wie Tony Robbins versinken wir in tiefe Andacht. Unser innerer Rationalist schaltet vollständig ab. Wir verneigen uns unbewusst vor Persönlichkeiten von Format.
Der deutsche Philosoph und Soziologe Erich Fromm war der Meinung, dass die Andacht vom unbewussten Wunsch herrührt, die Verantwortung von sich zu schieben und jemanden zu finden, dem man folgen könnte, um das Gefühl der Einsamkeit und der sozialen Unzulänglichkeit loszuwerden. Was glauben Sie: Warum kommt es dazu?
Es geht darum, dass unser Gehirn durch die Reaktion der Begeisterung die Chance gewinnt, verschiedenen Komplexen, Sorgen und der Notwendigkeit unangenehmer Entscheidungen zu entkommen. Das heißt, es ist ihm viel einfacher, sich der Meinung einer charismatischen Persönlichkeit anzuvertrauen, als die Verantwortung auf sich zu nehmen. Sigmund Freud vermutete, dass für die meisten von uns solche Menschen die Vatergestalt versinnbildlichen. Deshalb kopieren wir unbewusst die Verhaltensmuster dieser Menschen. Das Modell „Familienvater – Kind“ wird aktiviert.
John Antonakis, Leiter des Doktor-Programms für Managementstudien an der Universität Lausanne, hat sich lange mit dem Verhalten von charismatischen Führungspersönlichkeiten auseinandergesetzt. Er kam zum Schluss, dass alle US-Präsidentschaftskandidaten diese Verhaltensweise fleißig und bewusst gelernt haben. Laut Antonakis waren es gerade die bekannten charismatischen Führungstaktiken, die den acht letzten US-Präsidenten zum Wahlsieg verholfen haben. Diese Taktiken sind unauffällig, beeinflussen aber unterschwellig unsere Wahrnehmung und rufen Vertrauen und Sympathie in uns hervor.
Zum Glück muss niemand als US-Präsident kandidieren, um sein Charisma zu entwickeln. Es reicht, wenn man ein paar Tricks charismatischer Leader beherrscht und schon heute einsetzt.