Wie kleiden sich charismatische Menschen?
Ein charismatischer Leader ist ein märchenhafter Held, der alle Probleme löst. Für sein Umfeld aber ist nicht er der Hauptheld. Sie müssen wissen, dass der Platz der Prinzessin oder des Prinzen für Ihren Follower schon besetzt ist, und zwar von ihm selbst. Jeder Mensch ist die Hauptfigur seines Romans. Das heißt, Sie müssen zu der Person werden, die für jede Hauptfigur notwendig ist, die stärker ist und besser weiß, wem die Hauptfigur folgen wird. Wenn die Hauptfigur der Ritter Quentin Durward ist, dann sind Sie sein König Richard Löwenherz. Wenn die Hauptfigur eine Prinzessin ist, dann ist der Leader für sie die Königin und die Fee, ihre Patin. Ist der Hauptheld Frodo Beutlin, dann sind Sie der Gandalf oder die Elbenherrscherin Galadriel.
Aber wir sind nicht in einem Märchen, und der charismatische Leader kann nicht in einem Brokat-Mantel vor dem Publik aufkreuzen. Na gut, vielleicht doch, manchmal, in Ausnahmefällen. Aber darum geht es nicht. Es gut um die Situationen, die sich täglich wiederholen.
Es ist ein Idealfall, wenn das charismatische Leader-Image auf den beiden wichtigsten Bestandteilen fußt: Klassik und Einzigartigkeit. Und solange mein innerer Kritiker nicht hysterisch geworden ist, sage ich es gleich: Ich weiß, dass diese zwei Eigenschaften sich nur schwer miteinander verbinden lassen. Denn die Klassik, mit ihren strengen Linien und festen Kanonen, ist gerade deshalb so klassisch, weil sie nur ein Minimum an Einzigartigkeit besitzt. Und trotzdem: die strenge Klassik ist deshalb so gut, weil sie eine ideale Ritterrüstung für die eigene Würde darstellt. Ein Mann in einem Anzug, einem schneeweißen Hemd mit Manschettenknöpfen und einer Krawatte, der teure Schuhe trägt, ist rein physikalisch kaum imstande, auf den Fußboden zu spucken, unflätig zu schimpfen oder einen obszönen Witz zu reißen. Glauben Sie das nicht? Versuchen Sie es einmal!
Der klassische Stil lässt sich leichter einhalten, dazu muss man kein Mode-Freak sein. Für mich persönlich ist das besonders wertvoll, denn ich verstehe mich nicht besonders darauf. Vor kurzem musste ich im Wörterbuch sogar das Wort „Loafer“ nachschlagen. Dafür kann ich mir aber einen guten einfarbigen Anzug, eine Krawatte, ein passendes Hemd auswählen – und ich treffe immer ins Schwarze!
Dabei sind die besagte Strenge und Universalität des rein klassischen Stils gleichzeitig auch seine Schwäche. Alles zu steif und zu standardisiert: „Jemand ist im Frack gekommen – dass muss entweder ein Lord oder ein Kellner sein…“. Ein charismatischer Leader hingegen muss in Erinnerung bleiben und einzigartig sein – nicht aber als Freak. Ich sehe schon, wie so mancher meiner Leser im Begriff ist, zu sagen, ich fordere etwas Unmögliches. Ich kann aber alle daran erinnern, dass an dem schwarzen Rollkragenpulli und den schwarzen Jeans nichts Einzigartiges dran ist. Trotzdem kennt jeder den Stil von Steve Jobs. Ja, er ist eintönig und nicht auffällig. Ja, langweilig. Dabei beinhaltet dieser Stil eine Lässigkeit, die diese Figur einmalig macht. Es ist so, als wolle er sagen: „Ich bin mir zu faul, nach Klamotten zu suchen, deshalb habe ich mir tausend gleiche Sachen zugelegt, weil Image für mich nichts wert ist, denn ich habsxace viel wichtigere Dinge zu erledigen“.
Das ist eigentlich eine der Seiten des Leader-Stils: „Beim Anziehen habe ich mich kaum bemüht“. Es ist nichts dabei, dass man sich über den Eindruck Gedanken macht, den man hinterlassen möchte. Wenn Sie aber vor dem Publikum stehen, wäre es besser, dass niemand ahnt, wie viel Mühe Sie sich bei der Krawattenwahl gegeben haben. Ein charismatischer Leader ist seiner selbst sicher. Wenn Sie aber eine geschlagene Stunde brauchen, um die richtige Krawatte zu finden, dann sind Sie ziemlich unsicher. Sie werden dem Publikum zwar näher und vertrauter sein, aber Ihr Charisma wird dadurch einen Abbruch erleiden – so ist leider unser Leben beschaffen.